Kolumne.

AN DIE GRALSHÜTER
DES SCHWEIZER
FILMSCHAFFENS
VON MICHAEL LANG

 

Erschienen in www.julimagazin.ch


Als einst der Unterhaltungsstreifen «Teenage Mutant
Ninja Turtles» Premiere hatte, erteilte mir der
legendäre Zürcher Kinobetreiber Erwin C. Dietrich
eine Lektion. Durchs Foyer tapsten Riesen-Schildkröten;
für mich eine läppische Marketingidee. Der
Hausherr später beim Apéro: «Lieber Herr Lang,
ich steckte selber in einem der Kostüme. Es stank,
war heiss. Aber ich wollte meinem Publikum, meinen
Kunden wieder mal in die Augen schauen.» Die
Peinlichkeit war ganz auf meiner Seite. Der Mann
bewies Haltung.
Apropos Haltung: Als Filmkritiker und damit
Berufsvoyeur bin ich dem Zuschauer mehr verbunden
als Filmpolitik betreibenden Funktionären, die
allzu selten befruchtende Inhaltsdiskussion mitgestalten,
geschweige denn anstossen. Jammerschade
für das einheimische Filmwesen, das ohne Subventionen
vom Staat und dem gönnerhaften
Schweizer Fernsehen darben müsste.
Mir fällt auf, dass kluge Cinéphile kafkaesk unfassbar
werden, kaum haben sie ein Pöstchen in
der offiziellen «Filmszene Schweiz» (grauenhafter
Ausdruck!) ergattert. Besonders verhaltensunauffällig
sind diese Kummerbuben und -mädels, wenn
Positionswechsel anstehen. Wie bald, wenn die
Freiburger Staatsrätin Isabelle Chassot am 1. November
2013 das Bundesamt für Kultur übernimmt.
Wetten, dass die in der Futtersuche scheinsolidarische
Branche bereits bei Madame weibelt?
Ich unterstelle: Man will mehr Geld. Einen weiteren
unnötigen Filmpreis. Und man schönt mässig
gelungenes Schaffen mit der Anzahl erhaltener
Festivaleinladungen. Klar auch, dass es an den
Filmtreffs in Locarno, Zürich oder Solothurn Absichtserklärungen
hageln wird.
Auch Filmkunst entsteht durch Konfliktbereitschaft,
Reibung, Lust aufs Unkonventionelle. Leider
bin ich mir sicher, dass das der polittaktisch
agierenden Kultur-Nomenklatura, einigen Produzenten
und TV-Offizieren eher nicht passt. Obwohl
sie ihre Existenzberechtigung den Kreativen verdanken,
auch den unbequemen. Deshalb fordere
ich hofnärrisch mehr Lust zum polarisierenden Dialog,
mehr Blicke in die Augen des Publikums. Das
geht auch ohne Verkleidung!
Der Zeitpunkt passt. Ich wittere im Filmbereich
mehr Talent und Kreativität als auch schon.
Und das Fachblatt «Cine-Bulletin» meldet, Kultur
sei eine der grossen Leidenschaften der designierten
Kulturchefin Isabelle Chassot. Bravo! Jetzt gilt
es, ihr die Sparte Film schmackhaft zu machen.
Also, Gralshüter des Schweizer Films: Achtung,
Courage, Haltung!


Michael Lang ist freischaffender Kulturjournalist
und Kulturvermittler. Von 2004 bis 2012
war er Ko-Realisator der von ihm konzipierten,
preisgekrönten 3sat-Porträtreihe «Berg und Geist».