Film. Milos Forman. Porträt

© NZZ am Sonntag / NZZ Online; 12.09.2010

Kultur

Star mit Prinzipien

Milos Forman Retrospektive

Das Zürcher Filmfestival ehrt den tschechisch-amerikanischen Meisterregisseur und zweifachen Oscar-Gewinner Milos Forman, 78. Er wird eine Retrospektive und eine Master Class begleiten sowie seinen Film «A Walk Worthwhile» als Schweizer Premiere vorstellen.

Milos Forman wird eine ganze Woche in Zürich bleiben und seine Filme vorstellen. (Bild: Imago)

Von Michael Lang

Jan Tomás – genannt Milos – Forman ist seit den späten siebziger Jahren amerikanischer Staatsbürger und lebt in den USA. Geboren wird er 1932 in Čáslav nahe Prag in eine protestantische Lehrerfamilie. Seine Kindheit ist von traumatischen Erlebnissen in der vom nationalsozialistischen Terror des Zweiten Weltkriegs gebeutelten Heimat bestimmt. Formans Eltern werden von deutschen Besatzern verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Mutter Anna kommt in Auschwitz, Vater Josef Forman in Buchenwald ums Leben. Mit seinen beiden Brüdern findet Milos bei Verwandten und Freunden Unterschlupf und lebt nach Kriegsende 1945 in einem Waiseninternat im Badeort Poděbrady. Dort lernt er das später legendäre militante Antikommunisten-Brüderpaar Ctirad und Josef Mašín kennen. Und er gewinnt Václav Havel zum Freund, den künftigen Dissidenten und Staatspräsidenten der Tschechischen Republik.

Vom Theater- und Kinovirus infiziert, studiert Forman von 1951 bis 1956 in Prag an der Film- und Fernsehfakultät der Akademie der Musischen Künste. Ein Glücksfall für junge, systemkritische Kreative: Die Schulung ist erstklassig, und es erwächst die Chance, das künstlerische Sensorium zu schärfen, um dem sozialistischen Funktionärs-Dogmatismus eine lustbetonte Leichtigkeit des Seins entgegenzusetzen. Die «neue tschechische Filmwelle» entsteht und bringt nebst Forman Regisseure wie Věra Chytilová oder Jiří Menzel hervor.

In Locarno entdeckt

Erste Erfolge feiert Forman im Sozialismus der Post-Stalin-Epoche. Nach einigen Kurz- und Dokumentarfilmen debütiert er 1964 als Spielfilmregisseur und Autor mit der autobiografischen Teenagerstory «Schwarzer Peter», die am Filmfestival Locarno preisgekrönt wird. Es folgen Kleinbürgerdramen wie «Liebe einer Blondine» (1965) und die raffiniert subversive Politkomödie «Der Feuerwehrball» (1967), die ebenfalls Kassen-, Kritiker- und Festivalerfolge sind. Formans Talent für Schauspielerführung, präzise Charakter- und Milieuzeichnung, Ausstattung und sein Flair für musikalische Akzente erregen Aufsehen. Genauso wie die angesichts seiner tragischen Kindheit erstaunlich satirischen, nur leicht zynischen Storys. Ganz im Geist der tschechischen Kultfigur Schwejk – ein Romanheld, der sich mit List und Witz durchs Leben schlägt – ergreift er Partei für alle, die gegen Autoritäten aufmucken, dem obrigkeitlichen Schwachsinn die Stirn bieten oder gar den Hintern zeigen.

Als im August 1968 die Panzer der Warschaupaktstaaten die Reformbemühungen der Prager-Frühling-Bewegung platt walzen, zieht Forman nach Paris. Und schliesslich folgt der beherzte Karrieresprung in die USA, wo durch die Vietnamkriegs-Proteste und die Studentenbewegung ein soziokultureller Wandel ansteht. 1971 reüssiert der Immigrant mit der frivolen Gesellschaftssatire «Taking Off». Und vier Jahre später gelingt ihm die brillante Adaption von Ken Keseys Kultroman «One Flew Over the Cuckoo's Nest», die tragische Odyssee eines Kleinkriminellen, der in eine psychiatrische Anstalt eintritt, um dem Gefängnis zu entgehen. Sie wird mit dem Schauspieler Jack Nicholson als Zugpferd zum Welthit. Das Werk erhält fünf Oscars, einen für die beste Regie. 1979 überrascht Forman mit einer oft unterschätzten, anarchistischen, vom Hippie-Kitsch entschlackten Version des Musicals «Hair». Es folgt 1981 «Ragtime» nach dem Roman von E. L. Doctorow, eine herbsüsse Ode an den amerikanischen Traum im New York an der Schwelle zum 20. Jahrhundert.

1984 ist die Zeit reif für das Opus magnum: «Amadeus». Der englische Dramatiker Peter Shaffer erweitert sein Bühnenstück zum Drehbuch und liefert Forman das Werkzeug für eine Hommage an Wolfgang Amadeus Mozart und dessen Widerpart, den italienischen Komponisten Antonio Salieri. Der unbekannte Schauspieler Tom Hulce inkarniert den Salzburger Genius und begeistert Film- und Musikfans gleichermassen. Das Werk wird mit acht Oscars gebenedeit, einer davon geht erneut an Regisseur Forman.

Seither wird das Formansche Schaffen an «Amadeus» gemessen, was bei seinem artistischen Niveau allerdings eine tragbare Hypothek ist. Zumal auch spätere Werke wie «Valmont» (1989) nach Choderlos de Laclos' Briefroman «Les liaisons dangereuses», die Verbeugung vor dem Komödianten Andy Kaufman, «Man on the Moon» (1999), oder das opulente Maler-Epos «Goya's Ghosts» (2006) Qualitäten haben, die den Rahmen des Durchschnittlichen pulverisieren.

Milos Forman zählt definitiv zu den wenigen europäischen Cineasten, die seit den siebziger Jahren im rauen Umfeld der US-Filmindustrie fixe Grössen sind. Auch deshalb, weil er sich dem kommerzsüchtigen System nie bedingungslos unterwirft, sondern es pragmatisch nutzt. «Ein guter Regisseur», so formulierte er einmal, «ist jemand, der sich für die Ausübung seiner Profession Leute sucht, die besser sind als er.» Flankiert von exzellenten Skriptautoren, variiert er Literaturvorlagen und Bühnenstoffe, bleibt aber jederzeit seinen frühen moralisch-ethischen Prinzipien verpflichtet.

Salopper Umgang mit Fakten

Im Fall von «Amadeus» und «The People vs. Larry Flint» (1996) – einer Politsatire über die Duelle des Pornopapstes Larry Flint mit der US-Justiz in den siebziger Jahren – wird Forman allerdings der saloppe Umgang mit Fakten vorgehalten. Dem ist zu entgegnen, dass er nie die Rekonstruktion von Realität vorgaukelt. Ihm sind Zeitgeschichte und Zeitgeist stets Plattform für eine Comédie humaine, wo er genre- und epochenübergreifend den Blick des Publikums auf das Menschliche und noch lieber das Allzumenschliche zirkelt. Das passt, weil Formans Helden nie grösser als das Leben sind, dafür herznah, universell verständlich. Der begnadete Schauspieler-Dompteur weiss auch, dass wahre Kinogefühle erst durch das Charisma der Darsteller erblühen. Darum lässt er ihnen Raum, Zeit, Atem.

Zum «Tribute to»-Anlass in Zürich reist der Meister aus Connecticut (USA) an, wo er mit seiner dritten Frau und den elfjährigen Zwillingssöhnen Jim und Andy wohnt. Er will den Jazz-Oper-Film «A Walk Worthwhile» (2009) mitbringen, den er im altheimatlichen Nationaltheater Prag mit seinen älteren Zwillingssöhnen Petr und Matej gestaltet hat.

Das Zurich Film Festival erwartet mit Milos Forman einen Star, auch im weiteren Sinn des Wortes: Der im All kreisende Asteroid «11333 Forman» ist nach ihm benannt.