Essay.

"Film und Berg".

© ProLitteris / Lang Michael / Aargauer Zeitung / MLZ; 28.04.2007; Seite 48

Kultur

Sinnlos, aber inspirierend

Bergfilme Der neuere Schweizer Film hat den Mythos Berg immer wieder auf dem Programm › düster, aber auch frech und frisch.

Michael Lang

Der Querdenker Niklaus Meienberg selig setzte zu Zeiten der Zürcher Jugendunruhen 1981 in seinem Text «Die Erweiterung der Pupillen beim Eintritt ins Hochgebirge» diese Worte: «Weshalb hat sie mich / in diesem Loch geworfen / Wo Berge sich erheben / wie Bretter vor dem Kopf.» Damit war gesagt, was den freien Blick aufs Mittelmeer verwehrte und die Schweizer Verkrustung beförderte. Kein Wunder, dass damals Zürich brannte und der linksorientierten Kultur-Nomenklatura alles suspekt war, was nach lichter Bergwelt äugte, Enzianduft verströmte oder an einem innbrünstigen Jodeljuchzer Gefallen fand.

Der Autor dieser Zeilen realisiert mit dem Filmemacher Beat Kuert für den TV-Kulturkanal 3Sat die Porträtreihe «Berg und Geist». Man fährt mit Prominenten an einen von ihnen gewählten Ort in den Bergen, wo ungeachtet der Wetterlage parliert wird. Kürzlich war der Zürcher Regisseur Samir Gast. Der umtriebige Kulturschaffende mit irakischen Wurzeln, den es privat auch in die Berge zieht, wählte das Rigigebiet. Mit dem Gipfel-panorama vor Augen sprach er: «Wenn ich in diese Landschaft gucke, dann gibt mir das eine Ahnung von meiner Kleinheit und der Grösse der Welt. Dieses Gefühl ist natürlich wunderbar. Aber es hat auch einen melancholischen Zug, weil es mich auf meine Sterblichkeit verweist. Die Dinger sind schon Millionen von Jahren alt und ich kleiner Furz in der Welt stehe da und will tolle Filme machen, anerkannt sein und geliebt werden. Das ist hart.»

Und erstaunlich für einen immer schon kritischen Zeitgenossen. Denn nach Bergen, die wie Bretter vor dem Kopf sind, tönt das nicht. Eher nach Demut, Respekt, Neugierde. Das Beispiel verweist darauf, dass Bergwelt wieder zum Thema wird, auch im intellektuellen und künstlerischen Umfeld. Es ist also keine Schande mehr › auch für einen Filmemacher ›, wenn er mit Ideen im Kopf und der Kamera in der Hand im wahren Sinne des Wortes aufwärts zum Gipfel strebt, um sich dort inspirieren zu lassen. Weil ja sogar ein verkrusteter Chuefladen unter Umständen besser duftet, als die Luft in einer vollklimatisierten Denkstube.

Natürlich hatte der neuere Schweizer Film der letzten Jahrzehnte den Mythos Berg als Thema immer mal auf dem Programm, Meistens aber von Düs-ternis umflort: Markus Imhoofs «Der Berg» von 1990 ist eine klaustrophobische Rekonstruktion des mysteriösen Mordes am Wetterwart-Paar Haas auf dem Säntis von 1922. Und der Innerschweizer Fredi M. Murer («Vitus») nahm das Bergland 1985 als Schauplatz für sein Inzestdrama «Höhenfeuer», ein kammerspielartiges Meis-terwerk, weitab von allem «Heidi»-Groove.

Aktuell ist Markus Fischers Romanverfilmung: «Mamorera» zu erwähnen. Sie handelt von einer grauslichen Mordserie, die als späte Rache an einem Kraftwerkbau zu lesen ist, wo ein Dorf in den Fluten versinken musste, um die Stadt Zürich mit Elektrizität zu versorgen. Der Mystery-Thriller passt gut zur neu entflammten Diskussion über die Risiken der Energie-Erzeugung. Und zum Diskurs über die Klimaerwärmung: Schliesslich erkennt sogar der Berglaie, dass ihm die Gletscher vor den Augen wegschmelzen und die Metallkonstruktionen der Skiliftanlagen jeden Winter länger nutzlos auf aperen Alpwiesen herumstehen.

Fakt ist, dass der Schweizer Film wieder mehr Zuschauer anzieht. Allerdings nicht wegen urbaner Filmstoffe, die man eine Zeitlang als einziges denkbares Gegenmittel zur übermächtigen ausländische Konkurrenz verstand. Doch weil der Schweizer, salopp behauptet, nicht wirklich Städter ist, klappte das nicht. Der fein gemachte Szenenfilm «Strähl» über die Leiden eines Detektivs im Zürcher Rotlicht- und Drogenmilieu war ausser in Zürich kein Zuschauererfolg. Dafür reüssierten Werke wie «Sternenberg», «Die Herbstzeitlosen» oder «Mein Name ist Eugen». Wahrlich keine Grossstadt-Epen, dafür scharf beobachtete, sorgfältige Blicke in den Mikrokosmos des heimatlich Alltäglichen und Vertrauten. Wozu auch die Rituale der Bergkultur zählen: Wer jemals die zenbuddhistische Magie eines Schwingfestes auf der Schwägalp bei Hudelwetter erfahren hat, wird im Zeitalter der erschlaffenden Globalisierungseuphorie nie mehr ums Verrecken für eine Handvoll Euro zum Weekend-Shopping nach London stressen, wenn er mit dem Halbtaxabonnement in zwei Stunden angenehmer Bahnfahrt im Gebirge sein kann, wo das Murmeltier pfeift.

Das indische Bollywood-Kino platziert längst in jeder Leinwandromanze alpine Postkartenbilder, was den Drehorten Publicity und Devisen bringt. Im hiesigen Filmschaffen geht es aber um mehr als nur symbolträch- tige Bildgestik. Wie es der Schweizer Filmpreisträger Erich Langjahr in Werken wie «Sennenballade», «Hirtenreise ins dritte Jahrtausend» und «Das Erbe der Bergler» vormacht, wo jeweils subtil das Verhältnis von Mensch und Natur aufgezeigt wird, ohne Zeigefingermentalität und Verkitschung. Faszinierend auch das Schaffen des Folkrockmusikers, Bildhauers und Autorenfilmers Luke Gasser aus Lungern, der in den Low-Budget-Historiendramen «Baschis Vergeltung», «Fremds Land» oder «Anuk» frisch und frei Legenden und Sagen aus der Innerschweiz mit historischen Themen verknüpft.

Und es geht weiter: Mit Schweizer Beteiligung wird teils an Originalschauplätzen «Nordwand» gedreht, ein Drama über die Erstbesteigung der mystischen Kletterwand im Jung- fraugebiet. Bald soll auch das 1983 uraufgeführte, damals skandalumwitterte Theaterstück «Sennentuntschi» von Hansjörg Schneider vom begabten und erfolgshungrigen Michael Steiner («Grounding», «Mein Name ist Eugen») verfilmt werden. Eine deftig-heftige Saga um Sennen und ihre Puppenfrau.

Aus politischer Sicht vielversprechend ist das Dokfilm-Projekt «Salecina › Vom ‹Terroristennest› zum Hotel für Pauschaltouristen». Eine Recherche über das 1971 vom Zürcher Kommunisten Theo Pinkus gegründete und (mutmasslich) vom grossbürgerlichen Aktivisten der Roten Brigaden, Giangiacomo Feltrinelli finanzierte Begegnungszentrum in Maloja. Pikant: Produzent ist mit René Baumann ein Exponent des Zürcher Videoladens, der das legendäre Szenen-Video «Züri brännt» realisierte und seine Pappenheimer aus der Szene kennt. Bestimmt wird es reizvoll, zu sehen, was über den Ort in den Bergen zum Vorschein kommen, wo linke Grössen wie Max Frisch oder Herbert Marcuse debattierend hausten und jetzt die Nachgeborenen Snowboarden und Playstation spielen.

In der TV-Reihe «Berg und Geist» schwärmte der Weltmann Dieter «Yello» Meier auf dem Gor-nergrat, das Matterhorn im Blick, von «La conquête de l’inutile». Sinngemäss also der Eroberung des Unnötigen. Er meint die Schweizer Berge, die (scheinbar) sinnlos in der Gegend herumstehen und die man auch › und immer mehr › als Inspirationsquelle zum Weitersinnieren versteht und als Ort und Hort der Gefühle begreift. Das haben sie nämlich mit dem Film gemeinsam.

Michael Lang (57) lebt in Zürich, ist Co-Realisator der 3Sat-Fernsehreihe «Berg und Geist», Publizist und Buchautor.

Wer jemals die Magie eines Schwingfestes auf der Schwägalp bei Hudelwetter erfahren hat, wird im Zeitalter der erschlaffenden Globalisierungseuphorie nie mehr zum Weekend-Shopping nach London stressen